Stellungnahme des BDVR zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen

THEMA

Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung

AUTOR

Für den Vorstand des BDVR
Dr. Karoline Bülow, Prof. Dr. Martin Fleuß und Prisca Schiller

VERÖFFENTLICHT AM

11. April 2025

DOWNLOAD ALS PDF

Der am 9. April 2025 bekannt gewordene Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD gibt dem BDVR Anlass, zu drei Aussagen Stellung zu nehmen, die relevante Aspekte der Verwaltungsgerichtsbarkeit betreffen.

Aussage 1: „Aus dem ‚Amtsermittlungsgrundsatz‘ muss im Asylrecht der ‚Beibringungsgrundsatz‘ werden.“
Der Amtsermittlungsgrundsatz gehört zu den Maximen des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts. Er besagt, dass die Verwaltungsgerichte für die Beurteilung des Streitfalles nicht allein auf den Vortrag der Beteiligten abstellen, sondern den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Der Amtsermittlungsgrundsatz gewährleistet gleichmäßiges Verwaltungshandeln, denn die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ist nicht allein die Klärung eines Einzelfalles, sondern liefert zugleich für die Verwaltungsbehörden die Richtschnur zur Handhabung des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts in vergleichbaren Fällen. Die Amtsermittlung stärkt damit die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Dies gilt für das Asylrecht in gleicher Weise wie für die anderen Materien des Verwaltungsrechts. Die Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes prägt das Berufsethos der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter und bestimmt das hohe Ansehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Würde man den Amtsermittlungsgrundsatz im Asylrecht durch den aus dem Zivilrecht bekannten Beibringungsgrundsatz ersetzen, würde dies einen Systembruch im Verwaltungsrecht bedeuten. Die Folgen eines solchen Systembruchs stehen nicht im Verhältnis zu dem Nutzen, der hieraus erwachsen würde. Abgesehen von der Frage, in welchem Umfang ein solcher Wechsel vor dem Hintergrund des geltenden Unionsrechts und dessen Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union überhaupt umsetzbar wäre, muss ernsthaft bezweifelt werden, dass die davon erwartete „deutliche Beschleunigung“ der Asylgerichtsverfahren eintritt. Bereits jetzt gibt es im Asylrecht umfangreiche Mitwirkungspflichten für die Antragsteller, da oftmals nur sie selbst die genauen Umstände ihrer Flucht kennen und eine Ermittlung deren Mithilfe zwingend erfordert. Sie müssen diejenigen Tatsachen schildern, die sie zur Flucht bewegt haben. Wirken die Antragsteller nicht mit, kann ihre Klage regelmäßig keinen Erfolg haben. Soweit es die allgemeine Lage in den Herkunftsländern der Geflüchteten betrifft, verfügt die Verwaltungsgerichtsbarkeit über eine seit Langem geübte und bewährte Praxis, sich anhand verschiedener Erkenntnisse, die aus unterschiedlichen Quellen vorliegen, ein eigenständiges Bild von der fluchtrelevanten Situation in diesen Drittstaaten zu verschaffen. Dies stellt die wesentliche Grundlage für eine über den Einzelfall hinausreichende und somit gleichmäßige Bewertung der Lage dar, an der gerade für eine effektive Bearbeitung der Asylverfahren durch das Bundesamt ein Interesse besteht. Sollte insoweit eine Entlastung der Verwaltungsgerichte notwendig sein, wäre ein Ausbau der schon bestehenden Instrumente der Wissensgenerierung durch Asyldokumentationsstellen zielführender.
Sollte hingegen der Beibringungsgrundsatz auch auf Herkunftslandinformationen erstreckt werden, wäre das voraussichtlich sogar kontraproduktiv. Denn dann wäre damit zu rechnen, dass die Beteiligten, insbesondere die Klägerinnen bzw. Kläger zur Wahrung ihrer Rechte zahlreiche, umfangreiche Erkenntnismittel einreichen und vermehrt Beweisanträge stellen. Überdies würde ein Systemwechsel auch eine deutliche Mehrbelastung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bedeuten. Denn sollen das Vorbringen und die vorgelegten Erkenntnisse des Asylbewerbers nicht als zugestanden gelten, wäre das Bundesamt – anders als aktuell – gehalten, dieses ggf. auch substantiiert zu bestreiten und eigene Erkenntnismittel vorzulegen. Unterbleibt dies, wäre das Gericht an das Vorbringen des Asylbewerbers gebunden und gehindert, eigene Ermittlungen zur Widerlegung des Vorbringens anzustellen. Mithin wäre auch die materielle Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidungen gefährdet. Aus den vorgenannten Gründen plädiert der BDVR für eine grundsätzliche Beibehaltung des Amtsermittlungsgrundsatzes.

Aussage 2: „… ermöglichen die Einrichtung von besonderen Verwaltungsgerichten für Asylrechtssachen.“
Die Möglichkeit der Schaffung reiner Asylgerichte sehen viele der betroffenen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter der ersten Instanz mit Sorge. Es wird befürchtet, dass dies den generalistischen Ansatz der Verwaltungsgerichtsbarkeit auflöst. Im Hinblick auf die in vielen Ländern anstehende Pensionierungswelle und die schon jetzt bestehenden Schwierigkeiten, hochqualifizierten Nachwuchs für den Richterberuf zu gewinnen, könnte dies zu einem Ansehensverlust der Verwaltungsgerichtsbarkeit führen. Dies gilt umso mehr, als sich aus Sicht der Praxis nicht ohne Weiteres erschließt, inwiefern die Schaffung von speziellen Asylgerichten zwingend zu einer Beschleunigung der Verfahren führt. Schon jetzt sind an fast allen Verwaltungsgerichten die Verfahren je nach Herkunftsland auf einzelne Gerichte oder Kammern konzentriert. Hierdurch werden Kapazitäten gebündelt und durch Spezialwissen Verfahren beschleunigt.
Der BDVR plädiert daher dafür, von der Schaffung reiner Asylgerichte abzusehen.

Aussage 3: „Die sozialrechtlichen Rechtsgebiete Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss sowie die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII wollen wir sachgerecht der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit zuordnen.“
Der BDVR hat bereits in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass es keinen sachlichen Grund für eine Verlagerung der sozialrechtlichen Materien auf die Sozialgerichtsbarkeit gibt. Die betroffenen Materien sind klassische Leistungs- und auch Eingriffsverwaltung und stellen damit eine vertraute und originäre Materie der Verwaltungsgerichtsbarkeit dar, für die eine langjährig bewährte Rechtstradition und besondere Expertise besteht. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die sozialrechtlichen Rechtsgebiete Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss sowie die Kinder- und Jugendhilfe seit Jahrzehnten geprägt. Demgegenüber stellen sich die Rechtsgebiete bei den Sozialgerichten, deren typische Materie die beitragsfinanzierten Leistungen der Sozialversicherung ist, als strukturell fremd dar. Eine Verlagerung von der Verwaltungs- auf die Sozialgerichtsbarkeit hätte darüber hinaus auch erhebliche personelle und finanzielle Folgen. Sowohl auf behördlicher als auch gerichtlicher Seite würde ein bedeutender Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand anfallen, ohne dass dem nennenswerte Vorteile gegenüberstünden.

Für den Vorstand des BDVR
Dr. Karoline Bülow, Prof. Dr. Martin Fleuß und Prisca Schiller

Berlin, den 11. April 2025