Stellungnahme zu den Eckpunkten für ein Siebtes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze („VwGO-Novelle II“)

THEMA

VwGO-Novelle II

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

31. Juli 2024

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Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) begrüßt das Vorhaben des Bundesministeriums der Justiz, die Verwaltungsgerichtsordnung über die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben hinaus zu modernisieren. Die in den Eckpunkten umrissenen Änderungsvorhaben sind geeignet, das Ziel einer Modernisierung der Verwaltungsgerichtsordnung und einer Beschleunigung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu fördern.

1. Der BDVR regt erneut an, über die in den Eckpunkten genannten Bereiche hinaus, auch Regelungen betreffend Streitigkeiten über die amtsangemessene Besoldung von Beamten und Richtern und über die abstrakte Normenkontrolle von Bundesrechtsverordnungen in den Gesetzentwurf aufzunehmen.

a) Beamten und Richtern ist eine Durchsetzung ihrer Vergütungsinteressen im Wege des Arbeitskampfes rechtlich verwehrt. Ihnen steht hierfür stattdessen ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf amtsangemessene Besoldung zu, der von jedem einzelnen Beamten und Richter gerichtlich geltend zu machen ist. Obwohl in jedem einzelnen Verfahren inzident dieselbe Norm – das Besoldungsgesetz – Prüfungsgegenstand ist, bewirkt deren Beanstandung in einem Verfahren nicht automatisch, dass auch allen anderen Beamten und Richtern, die auf deren Grundlage besoldet werden, rückwirkend eine höhere Besoldung zu gewähren ist. Um eventuelle Ansprüche auf höhere Besoldung zu sichern, muss daher jeder Beamte und Richter, der solche auch nur für möglich hält, vorsorglich den Rechtsweg beschreiten. Das führt jedes Jahr zu einer sehr großen Zahl von Widerspruchsverfahren und – soweit der Dienstherr diese nicht ruhend stellt – zu einer großen Zahl von Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten. Auch wenn am Ende nicht alle Verfahren durch Urteil entschieden werden müssen, ist doch jedenfalls der administrative Aufwand für die Verwaltung dieser Verfahren in den Behörden und Verwaltungsgerichten erheblich.
Der BDVR regt daher an, Regelungen für eine direkte und einfache Kontrolle der Amtsangemessenheit der Besoldung von Beamten und Richtern in die Verwaltungsgerichtsordnung aufzunehmen.

b) Die Verwaltungsgerichtsordnung sieht die Möglichkeit einer abstrakten Kontrolle von unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften bisher nur vor, wenn das Landesrecht dies bestimmt. Für Bundesrechtsverordnungen ist eine abstrakte Normenkontrolle bisher nicht vorgesehen. Soweit eine abstrakte Normenkontrolle von untergesetzlichen Rechtsvorschriften danach unstatthaft ist, ist derjenige, der die Wirksamkeit einer solchen Rechtsvorschrift bestreitet, darauf verwiesen, den Weg der inzidenten Normenkontrolle im Rahmen einer Feststellungsklage zu beschreiten. Ein Prozesserfolg wirkt, anders als bei abstrakten Normenkontrollen, nicht generell, sondern nur im jeweiligen Prozessrechtsverhältnis. Jeder, der die Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsvorschrift bestreitet, die nicht in den Anwen-dungsbereich von § 47 VwGO fällt, muss daher ein weiteres Rechtsschutzverfahren vor den Verwaltungsgerichten durchführen.
Der BDVR regt daher an, den Anwendungsbereich des § 47 VwGO auf alle untergesetzlichen Rechtsvorschriften auszudehnen. Wegen der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist aus Sicht des BDVR eine übermäßige Belastung der Oberverwaltungsgerichte bzw. des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu erwarten.

2. Im Übrigen bittet der BDVR, bei der Formulierung eines Referentenentwurfs die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

a) Der geplante Wegfall der Sperrfristen für den Einsatz von Proberichtern als Einzelrichter und die Ausweitung der Möglichkeiten des Einsatzes von Einzelrichtern sollten überdacht werden. Das die Verwaltungsgerichtsordnung prägende Kollegialprinzip und die Sperrfristen für den Einsatz von Proberichtern als Einzelrichter sichern eine hohe Qualität verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen. Die ober- und höchstrichterliche Spruchpraxis zeigt langjährig, dass Entscheidungen von Kollegialgerichten generell weniger fehleranfällig sind als Ent-scheidungen, die von einem Richter getroffen werden. Während der Sperrfristen werden Proberichter im Rahmen von Kammerentscheidungen an die verwaltungsrichterliche Arbeit herangeführt und mit den gerichtlichen Abläufen unter Anleitung erfahrener Kolleginnen und Kollegen vertraut gemacht. Die durch die Ausweitung des Einsatzes von Einzelrichtern und den Wegfall der Sperrfristen zu erwartenden Effizienzgewinne sind nach Ansicht des BDVR sehr überschaubar, da bereits jetzt in geeigneten Einzelfällen Proberichter als konsentierte Berichterstatter auf der Grundlage von § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO zum Einsatz kommen. Auch zur Schonung der Ressourcen der Obergerichte sollten die durch einen zu frühen, breiten Einzelrichtereinsatz drohenden Qualitätseinbußen unbedingt vermieden werden.

b) Der BDVR steht den Überlegungen zur Angleichung der Formulierung des Revisionszulassungsgrundes der Divergenz an die weiter gefassten Regelungen in der Zivilprozessordnung und der Finanzgerichtsordnung offen gegenüber. Er bittet indes, im Rahmen der Formulierung des Referentenentwurfs kritisch zu prüfen, ob die Ausweitung auch auf den Berufungszulassungsgrund der Divergenz erstreckt werden sollte. Den Oberverwaltungsgerichten stehen mit den Berufungszulassungsgründen der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) weitergehende Rechtsmittelzulassungsgründe zur Verfügung, sodass Überwiegendes dafür streitet, dass eine Ausweitung des Berufungszulassungsgrundes der Divergenz nicht veranlasst ist.

c) In der Rechtsprechung der Obergerichte wird es jedenfalls teilweise für möglich gehalten, die Berufung auch dann zuzulassen, wenn der Vortrag des Rechtsmittelführers nicht auf einen Zulassungsgrund führt, ein solcher aber aufgrund von Umständen außerhalb des Vortrags des Rechtsmittelführers offensichtlich vorliegt (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 1. Juni 2016 – 5 A 54/13 – juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. September 2012 – 9 S 2153/11 – juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 6. November 1997 – 11 B 2005/97 – juris Rn. 4). Das Vorhaben, dem Rechtsmittelgericht im Einzelfall ausdrücklich zusätzlich zu ermöglichen, ein Rechtsmittel zuzulassen, wenn der Zulassungsgrund offensichtlich vorliegt, auch wenn er nicht (genügend) dargelegt worden ist, sollte, um eine ungewollte Mehrbelastung der Rechtsmittelgerichte zu verhindern, über diese Rechtsprechung nicht hinausgehen. Es sollte daher so ausgestaltet werden, dass kein Zweifel daran besteht, dass Rechtsmittelgerichte zukünftig nicht verpflichtet sind, jedes Zulassungsbegehren von Amts wegen auf das Vorliegen von Zulassungsgründen zu überprüfen. Dies widerspräche dem bisher im Rechtsmittelrecht geltenden Darlegungsprinzip. Eine Berufungszulassung kann deshalb nur in Betracht kommen, wenn das Vorliegen des Zulassungsgrundes für das Rechtsmittelgericht offensichtlich ist, also keiner weiteren eigenen Prüfung mehr bedarf.

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)
Berlin, den 31. Juli 2024