Stellungnahme in den Verfahren 2 BvL 2/16, 2 BvL 10/18 und 2 BvL 3/19, die die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Besoldung und Versorgung von Richtern betreffen

THEMA

Besoldung der Richter

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

21. Februar 2024

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Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme in den Verfahren 2 BvL 2/16, 2 BvL 10/18 und 2 BvL 3/19, die die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Besoldung und Versorgung von Richtern betreffen.

Der BDVR teilt die in den Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen, des Verwaltungsgerichts Osnabrück und des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) jeweils aufgezeigten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der landesrechtlichen Regelungen zur R1-Besoldung der Kläger in den streitbefangenen Jahren. Die bremischen, niedersächsischen und brandenburgischen Besoldungsgesetze verstoßen aus mehreren Gesichtspunkten gegen das Alimentationsprinzip. Sie erfüllen nicht die prozeduralen Anforderungen, die an die Festlegung der Besoldungshöhe geknüpft sind (1.). Zudem erweist sich die geregelte Besoldung in den genannten Ländern als evident unzureichend (2.).

1. Die prozeduralen Anforderungen treten als eigenständige „zweite Säule“ des Alimentationsprinzips neben seine auf eine Evidenzkontrolle beschränkte materielle Dimension und dienen seiner Flankierung, Absicherung und Verstärkung. Für den Besoldungsgesetzgeber folgen aus dem Prozeduralisierungsgebot in erster Linie Begründungspflichten. Der Gesetzgeber ist gehalten, bereits im Gesetzgebungsverfahren die Fortschreibung der Besoldungshöhe zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungsfähigen Bestimmungsfaktoren für den verfassungsrechtlich gebotenen Umfang der Anpassung der Besoldung müssen sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen. Eine bloße Begründbarkeit genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Prozeduralisierung. Der mit der Ausgleichsfunktion der Prozeduralisierung angestrebte Rationalisierungsgewinn kann – auch mit Blick auf die Ermöglichung von Rechtsschutz – effektiv nur erreicht werden, wenn die erforderlichen Sachver-haltsermittlungen vorab erfolgen und dann in der Gesetzesbegründung dokumentiert werden. Die Prozeduralisierung zielt auf die Herstellung von Entscheidungen und nicht auf ihre Darstellung im Sinne einer nur nachträglichen Begründung (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, juris, Rn. 97).

Diese Anforderungen erfüllen die Begründungen für die landesrechtlichen Regelungen in Bremen, Niedersachsen und Brandenburg nicht. Eine, von den vorlegenden Gerichten vollführte, Darstellung etwa der Entwicklung und Höhe der Einkommen in der Privatwirtschaft im Vergleich zur Besoldung sowie des Abstands zwischen der Nettoalimentation in den unteren Besoldungsgruppen zum Grundsicherungsniveau, findet sich in den zur Prüfung vorgelegten Besoldungsregelungen nur unzureichend. Es fehlt in den jeweiligen Gesetzesbegründungen bereits an der Einholung oder jedenfalls Nennung von Daten für die vorgenannten Kriterien, auf deren Grundlage eine nachvollziehbare Abwägung überhaupt erst hätte stattfinden können (vgl. so auch in den aktuelleren Gesetzesbegründungen: Bremen, Drs. 20/1568, Anl. 2 zur Begründung; Niedersachen, LT-Drs. 18/11498, S. 15 ff.; Brandenburg, LT-Drs. 7/6095, Begr. S. 26).

2. Die Besoldungshöhe ist in den Ländern Bremen, Niedersachen und Brandenburg aus den in den Vorlagebeschlüssen dargestellten Gründen zudem evident unzureichend. Ob die Bezüge evident unzureichend sind, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden. Diese Gesamtschau vollzieht sich in zwei Schritten: Auf der ersten Prüfungsstufe wird mit Hilfe von fünf in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Alimentationsprinzip angelegten Parametern ein Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt (Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder). Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besol-dungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt.

Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe mit den weiteren alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zusammenzuführen. Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation, die im Rahmen der Gesamtabwägung sowohl widerlegt als auch erhärtet werden kann. Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwel-lenwerte unterschritten, wird eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden. Ergibt die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies im Ausnahmefall verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, juris).

Diese Maßstäbe haben die vorlegenden Gerichte ihren Entscheidungen zugrunde gelegt und umfangreiches Daten- und Zahlenmaterial zu Tarifergebnissen der Angestellten im öffentlichen Dienst, der Entwicklung des Nominallohn- und des Verbraucherpreisindex ausgewertet, diese in Bezug zur Besoldungsentwicklung gesetzt und einen Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder angestellt und festgestellt, dass mehrere Schwellenwerte zum Teil deutlich überschritten wurden. Ebenso zutreffend haben insbesondere die Verwaltungsgerichte Frankfurt (Oder) und Osnabrück aufgezeigt, dass auch bei der Erfüllung von nur zwei der fünf Parameter auf der ersten Stufe, eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist.

Das Ergebnis der Verwaltungsgerichte nach einer Gesamtabwägung und Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, dass die Alimentation nicht genügt, um Richtern der R-1 Besoldung nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieses Amtes für die Allgemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finan-ziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen, ist folgerichtig.
Angesichts der klaren Vorgaben der Rechtsprechung zur angemessenen Alimentation ist deren mangelnde Beachtung durch die Landesgesetzgeber nicht nachvollziehbar, zumal sie damit in nicht unerheblicher Weise der Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters für entsprechend qualifizierte Kräfte schaden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es, wie der BDVR in der Vergangenheit bereits mehrfach deutlich gemacht hat, zunehmend schwieriger wird, ausreichend qualifizierten Richternachwuchs zu gewinnen. Dieser Eindruck wird durch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Osnabrück in dem Vorlagebeschluss bestätigt, nach denen seit dem Jahr 2013 die Durchschnittsnoten der Proberichter gesunken sind.

Angesichts des erheblichen Aufwands von Verfahren der vorliegenden Art, deren Bedeutung und Reichweite erscheint daher eine erneute, die Maßstäbe für eine amtsangemessene Alimentation (noch) deutlicher machende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auch unter Berücksichtigung der aktuellen Besoldungsentwicklung, wünschenswert und notwendig.

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)
Berlin, den 21. Februar 2024