Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur besseren Verhinderung missbräuchlicher Anerkennungen der Vaterschaft

THEMA

Missbräuchliche Anerkennungen der Vaterschaft

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

22. Mai 2024

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Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen e.V. (BDVR) begrüßt ausdrücklich das Anliegen des Referentenentwurfs, dem Missbrauch des Instituts der Anerkennung der Vaterschaft mit dem Ziel, die rechtlichen Voraussetzungen für eine erlaubte Einreise oder einen erlaubten Aufenthalt zu schaffen, effektiv zu begegnen und damit dem öffentlichen Interesse an der Steuerung der Einwanderung, einer Verhinderung der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit durch missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft und an der kindeswohlgerechten Zuordnung der Elternschaft zur Durchsetzung zu verhelfen.

Die bisherigen gesetzlichen Regelungen haben sich als nicht tauglich erwiesen, um der Praxis des Missbrauchs der Vaterschaftsanerkennung effektiv zu begegnen (vgl. nur Dörig – Vaterschaftsanerkennung ist nicht schwer, ausländerrechtliche Missbrauchskontrollen hingegen sehr, NVwZ 2020, 106 ff. m.w.N. sowie Dörig – Missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen als Einwanderungspfad, ZRP 4/2024). Der Referentenentwurf trägt der berechtigten Kritik der Rechtsanwender an der geltenden Rechtslage Rechnung und lässt eine effektivere Bekämpfung des Missbrauchs der Vaterschaftsanerkennung erwarten.

1. Zu begrüßen ist insbesondere, dass die Missbrauchsprüfung künftig nicht mehr in den Beurkundungsstellen stattfindet, sondern allein der zuständigen Ausländerbehörde vorbehalten wird.
Die Effektivität der Kontrolle leidet gegenwärtig gerade darunter, dass die Ausländerbehörden, die nicht nur über die Befähigung, missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen festzustellen, sondern nicht selten – im Gegensatz zu den beurkundenden Behörden oder Urkundspersonen – auch über die erforderliche Kenntnis missbrauchsbegründender Tatsachen verfügen, nach dem geltendem Recht auf der entscheidenden ersten Stufe der Feststellung des Bestehens von Anhaltspunkten für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft gar nicht beteiligt sind. Diesem Missstand wird durch die Ausgestaltung der Missbrauchsprüfung als ausländerbehördliches Zustimmungsverfahren effektiv abgeholfen. Das Zustimmungsverfahren hält die Beteiligten zu einer aktiven Mitwirkung an. Die Vermutungs-tatbestände des § 85a Abs. 4 und Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 bis 4 AufenthG-E tragen den Erfahrungen der behördlichen Praxis Rechnung. Ist im Einzelfall keine Vermutung anwendbar, so hat die Ausländerbehörde zu ermitteln, ob die Anerkennung der Vaterschaft missbräuchlich ist oder nicht. Standesämter dürfen in Fällen des Bestehens eines sog. „Aufenthaltsrechtsgefälles“ künftig den die Vaterschaft anerkennenden Mann nur in den Geburtseintrag des Kindes eintragen, wenn entweder die Ausländerbehörde ihre Zustimmung erteilt hat oder ein geeigneter Nachweis gemäß § 17 GenDG erbracht wird. Zudem können die Rechtsfolgen einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung bei nachträglichem Bekanntwerden ihrer Erwirkung mittels arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung oder unrichtiger oder unvollständi-ger Angaben durch eine Rücknahme der Zustimmung der Ausländerbehörde rückwirkend beseitigt werden. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG wird durch die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens entsprochen.

2. Gemäß 85a Abs. 3 Satz 1 AufenthG-E ist die Zustimmung zu einer Anerkennung der Vaterschaft zu versagen, wenn es sich um eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft handelt. Eine solche liegt nach § 85a Abs. 3 Satz 2 AufenthG-E vor, wenn die Vaterschaft gezielt gerade zu dem Zweck anerkannt wird oder die Zustimmung der Mutter gezielt gerade zu dem Zweck erteilt wird, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen für erstens die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes, des Anerkennenden oder der Mutter oder zweitens die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 StAG.
Die Vorschrift knüpft an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 1 BvL 6/10 – BVerfGE 135, 48 ) an, die funktional als Vorgängernorm angesehen werden kann. Die Legaldefinition der „missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung“ ist auslegungsbedürftig und auslegungsfähig (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2021 – 1 C 30.20 – BVerwGE 173, 37 Rn. 26 ff.). Wenn nicht im Gesetzestext, so doch in der Gesetzesbegründung sollte aus Gründen der Klarstellung deutlich gemacht werden, dass eine Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung dann vorliegt, wenn die Anerkennung dazu bestimmt ist, die gesetzlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts zu umgehen. Das setzt nicht zwingend voraus, dass der aufenthaltsrechtliche Zweck alleiniger Zweck ist. Eine Bestimmung zur Umgehung kann auch dann anzunehmen sein, wenn der aufenthaltsrechtliche Zweck maßgeblicher, prägender, primärer oder Hauptzweck in einem Motivbündel der Beteiligten gewesen ist.

3. Abzulehnen und ersatzlos zu streichen ist hingegen § 85a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufenthG-E. Danach wird vermutet, dass die Anerkennung der Vaterschaft nicht missbräuchlich ist, wenn die Antragsteller belegen können, dass sie zum Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung seit mindestens sechs Monaten unter einer gemeinsamen Wohnanschrift gemeldet sind. Das Kriterium des Bestehens einer gemeinsamen Meldeanschrift vermag eine gelebte sozial-familiäre Beziehung oder gar eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Antragstellern nicht zu indizieren. Im Unterschied zu den weiteren Vermutungstatbeständen des § 85a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 und 3 AufenthG-E (Unterhaltsleistungen und tatsächlicher Umgang) erlaubt die bloße Anmeldung unter einer gemeinsamen Wohnanschrift, auch wenn sie durch den Vermieter zu bestätigen ist, keinen verlässlichen Rückschluss auf eine tatsächlich bestehende familiäre Verbundenheit und Verantwortungsübernahme. Sie ist zudem – anders als die in § 85a Abs. 5 Nr. 4 AufenthG-E vorausgesetzte Eheschließung der Antragsteller – einfach und ohne erheblichen Aufwand zu bewirken und kann ebenso einfach und ohne erheblichen Aufwand jederzeit wieder aufgehoben werden. Entgegen der Entwurfsbegründung vermag für das Kriterium auch nicht bei § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB Anleihe genommen zu werden. Danach liegt eine für die Annahme einer sozial-familiären Beziehung konstitutive Übernahme tatsächlicher Verantwortung in der Regel vor, wenn der Vater im Sinne von § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Die bloße melderechtliche Anmeldung kann weder als Ausdruck einer tatsächlichen Verantwortungsübernahme noch als ein tatsächliches Zusammenleben in einer sozial-familiären Beziehung gewertet werden. Langjährige Erfahrungen mit den Phänomenen der aufenthaltsrechtlichen Scheinehe und Scheinvaterschaft belegen vielmehr, dass die betroffenen Personen vielfach gemeinsame Meldeadressen unterhalten, ohne eine eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft tatsächlich jemals zu begründen.

4. Bedenken begegnet aus hiesiger Sicht auch § 85b Abs. 2 Satz 2 AufenthG-E. Gemäß § 85b Abs. 2 Satz 1 AufenthG-E gilt die Zustimmung zur Anerkennung einer Vaterschaft als erteilt, wenn die Ausländerbehörde nicht binnen vier Monaten nach Eingang des Antrags entschieden hat. Die Vorschrift normiert eine Zustimmungsfiktion für den Fall, dass die Ausländerbehörde nicht binnen vier Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags über die Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung entschieden hat. Ziel der Fiktion ist es, die Zeitspanne der belastenden Ungewissheit für das Kind, die Kindesmutter und den die Vaterschaft Anerkennenden zeitlich einzuschränken. In der Regel wird ein ausländerbehördlicher Prüfungszeitraum von vier Monaten genügen, um die Missbräuchlichkeit einer Vaterschaftsanerkennung festzu-stellen. Nach § 85b Abs. 2 Satz 2 AufenthG-E wird der Ablauf der Frist nach § 85b Abs. 2 Satz 1 AufenthG-E gehemmt, solange die Antragsteller ihren Verpflichtungen nach § 85b Abs. 4 AufenthG-E nicht nachkommen und dies nicht genügend entschuldigen. Die Hemmung der Vier-Monatsfrist in den Fällen einer unentschuldigt unterbleibenden oder unzureichenden Mitwirkung der Beteiligten nach § 85b Abs. 2 Satz 2 AufenthG-E belässt der Ausländerbehörde die erforderliche Zeit zur Missbrauchsprüfung. Anders kann es sich indes in den Fällen einer genügenden Entschuldigung der unterbleibenden oder unzureichenden Mitwirkung der Beteiligten verhalten. Bedarf es etwa zur Aufklärung des Vorliegens einer missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft wie im Regelfall einer Anhörung der Kindesmutter und des die Vaterschaft anerkennenden Mannes und legt auch nur eine der vorgenannten Personen eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vor, dass sie aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme an der Anhörung gehindert ist, so wird der Ablauf der Frist nach § 85b Abs. 2 Satz 1 AufenthG-E nicht gehemmt mit der Folge, dass die Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft nach § 85b Abs. 2 Satz 1 AufenthG-E nach Ablauf von vier Monaten als erteilt gilt, obgleich der Ausländerbehörde eine Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles infolge der gesundheitlichen Verhinderung eines Beteiligten unmöglich ist. Dem erheblichen Aufwand der Durchführung eines bei Auftreten nachträglicher Verdachtsmomente zu betreibenden Rücknahmeverfahrens könnte durch die moderate und immer noch verhältnismäßige Heraufsetzung der Frist von vier auf sechs Monate sachgerecht begegnet werden.

5. Der Referentenentwurf lässt zudem eine Ergänzung von § 27 Abs. 1a AufenthG um den Tatbestand der missbräuchlichen Vaterschaftsanfechtung vermissen. Danach wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn erstens feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, oder zweitens tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde. Mit Urteil vom 26. Mai 2020 – 1 C 12.19 – hat das Bundesverwaltungsgericht deutlich gemacht, dass es als zumindest fraglich erachtet, ob durch eine Vaterschaftsanerkennung, welche im Sinne des § 1597a Abs. 1 BGB gezielt gerade zu dem Zweck er-folgt, die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt zu schaffen (missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft), ein Verwandtschaftsverhältnis im Sinne des § 27 Abs. 1a Nr. 1 Alt. 2 AufenthG begründet wird (BVerwGE 168, 159 Rn. 26 f. m.w.N.), und höchstrichterlich geklärt, dass dem Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 Alt. 2 AufenthG jedenfalls die Fallgestaltung der Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses zwischen einem seine Vaterschaft ohne genetische Abstammung anerkennenden deutschen Staatsangehörigen und einem minderjährigen ledigen Kind mit dem Ziel, dessen ausländischer Mutter ein Aufenthaltsrecht zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu ermöglichen, nicht unterfällt (BVerwGE 168, 159 Rn. 28 ff.) (vgl. zum Ganzen auch Fleuß – Die ausländerrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2020, ZAR 2021, 156 (160 f.)). Im Lichte dessen ist dem § 27 Abs. 1a AufenthG folgende Nr. 3 anzufügen:
„3. die Ausländerbehörde die Zustimmung zu einer Anerkennung der Vaterschaft nach § 85a Abs. 3 Satz 1 versagt hat.“.

6. Außerdem sollte § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB-E aus Gründen der Klarstellung wie folgt gefasst werden:
„Anerkennung und Zustimmung sind auch unwirksam, wenn die nach § 85a des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde oder die nach § 85b Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Zustimmung der Auslandsvertretung nicht erteilt ist.“
Die Differenzierung greift die Unterscheidung in § 71 Abs. 1 und 2 AufenthG zwischen „Ausländerbehörden“ und „Auslandsvertretungen“ auf.

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)
Berlin, den 22. Mai 2024