Stellungnahme zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und weiterer umweltrechtlicher Vorschriften

THEMA

Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

04. Juni 2024

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Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) bedankt sich für die Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und weiterer umweltrechtlicher Vorschriften sowie zu dem Alternativvorschlag zum Anwendungsbereich des UmwRG aus fachlicher Sicht Stellung zu nehmen.

1. zu Art. 1 Nr. 1 Buchst. a)

Die enumerative Aufzählung von Doppelbuchst. aa) bis gg) dient – worauf die Entwurfsbegründung hinweist – der Umsetzung von Beschlüssen des ACCC sowie von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts. Diese Änderungen sind erforderlich. Die vom Deutschen Bundestag geforderte Überführung des § 64 BNatSchG in das UmwRG erachten wir für sinnvoll.

2. zum Alternativvorschlag für den Anwendungsbereich des UmwRG

a) Durch den Alternativvorschlag würde die bisherige Zielsetzung des Gesetzgebers aufgegeben, die Verfahren, auf die das UmwRG Anwendung findet, durch eine enumerative Aufzählung zu begrenzen. Diese Regelungstechnik hat mehrfach gesetzliche Nachbesserungen erforderlich gemacht (vgl. dazu etwa Korbmacher, NVwZ 2023, 945/948 f.), was künftig nicht mehr notwendig wäre.

b) Ob die in § 1 Abs. 1a Satz 1 UmwRG-E vorgesehene Generalklausel uneingeschränkt zu mehr Rechtssicherheit und zu einer Rechtsvereinfachung für alle Rechtsbetroffenen führen würde, erscheint allerdings fraglich. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs des UmwRG ist in den Fällen von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 6 UmwRG vielfach nur einer von zahlreichen Problemkreisen, die einen erheblichen Prüfungsaufwand nach sich ziehen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Klagegegenstände – wie vorgeschlagen – wesentlich erweitert werden. Bei Aufnahme der Generalklausel in Absatz 1a dürfte vor allem die Bestimmung der „umweltbezogenen Rechtsvorschriften“ (§ 1 Abs. 4 UmwRG) in zahlreichen Verfahren eine Reihe schwieriger Rechtsfragen aufwerfen.

c) Der Umfang der Erweiterung der Klagemöglichkeiten erscheint jedenfalls zu weitgehend:
Künftig wäre es ausreichend, dass eine behördliche Entscheidung gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstoßen kann. Damit würde allein die Möglichkeit einer Verletzung den Anwendungsbereich des UmwRG eröffnen. Demgegenüber knüpft die bisherige enumerative Aufzählung im Wesentlichen an objektive Merkmale an (etwa an Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz [Nr. 3], an Entscheidungen über die Annahme bestimmter Programme und Pläne [Nr. 4], an Zulassungsentscheidungen, die unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften ergangen sind [Nr. 5] sowie an bestimmte Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen, die sich auf Entscheidungen nach Nr. 1 bis 5 beziehen [Nr. 6]), was auch durch die im Referentenentwurf vorgesehenen Erweiterungen im Grundsatz beibehalten würde (vgl. etwa § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b UmwRG-E – Entscheidungen über die Zulassung von Produkten unter Anwendung umweltbezogener Vorschriften). Der Vorteil einer solchen Generalklausel – die erleichterte Prüfung der Zulässigkeit (insbes. im Zusammenhang mit der Klagebefugnis) – wäre durch eine wesentliche Ausdehnung der Klagegegenstände erkauft.
Es käme erschwerend hinzu, dass durch den Verweis in § 1 Abs. 1a Satz 2 UmwRG-E auf § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG-E der Anwendungsbereich der Generalklausel auch dann eröffnet wäre, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine behördliche Entscheidung nach Absatz 1a getroffen worden ist. Kann daher ein behördliches Unterlassen gegen eine umweltbezogene Vorschrift verstoßen, fände das UmwRG Anwendung. Ob ein solcher Verstoß tatsächlich vorliegt, wäre – bei Heranziehung der allgemeinen Grundsätze – erst im Rahmen der Begründetheit zu prüfen. Diese Erweiterung dürfte v.a. die gesamte aufsichtliche Tätigkeit der Behörden im Umweltbereich erfassen, einschließlich der Rücknahme und des Widerrufs von bestandskräftigen Genehmigungen oder Erlaubnissen (vgl. zum bisherigen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG BVerwG, U.v. 23.6.2020 – 9 A 22.19 – BVerwGE 168, 368 Rn. 17 f.; U.v. 6.10.2022 – 7 C 5.21 – juris Rn. 15). Aktuell werden von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG nur Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5 erfasst. Erforderlich ist daher eine Genehmigungsakzessorietät (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.2021 – 4 C 2.19 – juris Rn. 22; U.v. 23.6.2020 – 9 A 22.19 – juris Rn. 17), auf die künftig verzichtet würde.
Ob die rechtstatsächlichen Erkenntnisse, die auf der Grundlage des geltenden Rechts gewonnen wurden, auf eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs übertragbar sind, erscheint mehr als fraglich.

d) Die Einführung der Generalklausel in Absatz 1a hätte auch erhebliche Folgen für Individualkläger. Die Klagebegründungsfrist nach § 6 UmwRG (die dann für Fälle des Abs. 1 und des Abs. 1a anwendbar wäre) würde auf zahlreiche weitere Verfahren ausgedehnt und damit auch die Unsicherheit über ihren Anwendungsbereich, was aus Gründen der Rechtssicherheit und vor dem Hintergrund des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes abzulehnen ist. Bei erstinstanzlichen Klagen, die bei den Verwaltungsgerichten erhoben werden, wäre künftig in einer Vielzahl von Fällen des § 1 Abs. 1a UmwRG-E im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht erkennbar, ob der Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet und ob daher die 10-wöchige Frist zur Angabe von Tatsachen und Beweismitteln einschlägig ist. Dies würde sich danach richten, ob eine behördliche Entscheidung (oder deren Unterlassen) gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstoßen kann. Vor allem bei anwaltlich nicht vertretenen Klägerinnen und Klägern lässt sich der Streitgegenstand und damit auch die Frage nach möglichen Rechtsverstößen jedoch häufig bei Klageerhebung nicht präzise bestimmen. Dies ist vor allem im Baurecht zu beobachten. Die daraus resultierende Rechtsunklarheit, die auch durch gerichtliche Hinweise oder prozessleitende Verfügungen nicht ausgeräumt werden könnte, erscheint verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Zudem werden vor allem in Ländern, in denen das Widerspruchsverfahren abgeschafft wurde, Klagen (v.a. im Bereich baunachbarrechtlicher Streitigkeiten) oftmals nur zur Fristwahrung, d.h. zur Vermeidung des Eintritts der Bestandskraft erhoben, um parallel zum gerichtlichen Verfahren Möglichkeiten einer gütlichen Einigung zwischen den Beteiligten auszuloten. In derartigen Fällen erscheint die Geltung der Frist des § 6 Satz 1 UmwRG bzw. des § 6 Abs. 1 Satz 1 UmwRG-E nicht angemessen und – zumindest rechtspolitisch – auch nicht erforderlich.
Bliebe die Klagebegründungsfrist dagegen auf Klagen nach Abs. 1 beschränkt, entfiele die Beschleunigungswirkung in zahlreichen Fallgruppen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 6 UmwRG sowie die z.T. deckungsgleichen Regelbeispiele in § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 bis 6 UmwRG-E). Dies würde der gesetzgeberischen Zielsetzung, Beschleunigungspotentiale effektiv zu nutzen, zuwiderlaufen.
Eine Differenzierung in § 6 Abs. 1 Satz 1 UmwRG zwischen bestimmten Klagegegenständen erscheint im Übrigen kaum praktikabel. Eine solche Bestimmung müsste den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben genügen und wäre für die jeweilige Fallgruppe zu rechtfertigen.

e) Im Ergebnis sollte daher an dem enumerativen Katalog der Entscheidungen, hinsichtlich derer das UmwRG für Rechtsbehelfe eröffnet ist, festgehalten werden.
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c UmwRG-E enthaltene Verweis auf die Nr. 1 bis 4 redaktionell angepasst werden müsste.

3. zu Art. 1 Nr. 1 Buchst. b)

Die Änderung ist in systematischer Hinsicht zu begrüßen. Die Regelung des persönlichen Anwendungsbereichs in § 1 Abs. 3 UmwRG-E dient vor allem auch der Verdeutlichung des Anwendungsbereichs der Klagebegründungsfrist in § 6 UmwRG, der bereits nach geltender Rechtslage für Klagen natürlicher Personen gilt.
Im Zusammenhang mit der in der Begründung (S. 19) angesprochenen Klarstellungsfunktion sollte auf eine Entscheidung des OVG Münster (U.v. 27.10.2022 – 22 D 243/21.AK) – betreffend die Anwendbarkeit auf Betreiberklagen – eingegangen werden. Die dort aufgeworfene Rechtsfrage dürfte nicht unumstritten sein und könnte auf diesem Weg vom Gesetzgeber geklärt werden.

4. zu Art. 1 Nr. 2 Buchst. b), Doppelbuchst. bb)

Bei der Änderung unberücksichtigt geblieben ist die Frage, ob § 2 Abs. 4 Satz 2 UmwRG in den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a) UmwRG-E bei echten und unechten Normerlassklagen anwendbar bleibt (vgl. VGH BW U.v. 10.11.2022 – 10 S 3542/21– juris, Rn. 55 ff. m.V.a. BVerwG, U.v. 27.2.2020 – 7 C 3.19 – juris Rn. 24). Auch insofern erschiene eine gesetzgeberische Klarstellung hilfreich.

5. zu Art. 1 Nr. 5

Die Regelung zu missbräuchlichem und unredlichem Verhalten im Rechtsbehelfsverfahren in § 5 UmwRG dürfte auch zukünftig keine praktische Bedeutung erlangen. Grund dafür sind letztlich – wie in der Begründung zutreffend dargelegt – die unionsrechtlichen Vorgaben. Die Anfügung eines Satzes 2, der den Missbrauchstatbestand konkretisieren soll, erscheint nicht erforderlich. Der Missbrauchstatbestand ist durch die zitierte Rechtsprechung des BVerwG hinreichend präzise umrissen.
Die Annahme, dass die Ahndung von Missbrauchsfällen durch eine fehlende Konkretisierung des Missbrauchstatbestands erschwert wird, erscheint kaum belegbar. In der Regel entsprechen die im Gerichtsverfahren erhobenen Einwendungen, denjenigen, die bereits im Verwal-tungsverfahren erhoben wurden. Neue Einwendungen im gerichtlichen Verfahren beruhen meist darauf, dass im Laufe des Verfahrens neue Erkenntnisse zu Tage treten.

6. zu Art. 1 Nr. 6

Die Einfügung eines neuen § 6 Abs. 2 UmwRG-E (Frist zur Klageerwiderung) erscheint verzichtbar. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Entwurf der Einführung einer mit innerprozessualer Präklusionswirkung ausgestatteten Klageerwiderungsfrist nicht nähergetreten ist (vgl. dazu die Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich am 23.1.2023, Protokoll-Nr. 20/39, insbes. S. 35 ff., 149 ff.). In der gerichtlichen Praxis werden aber bereits jetzt mit der Zustellung der Klagebegründung an den Beklagten (und in Fällen der Beiladung auch an den oder an die Beigeladenen) regelmäßig Fristen für die Klageerwiderung gesetzt, die sich an der Klagebegründungsfrist orientieren. Die gewünschte Verfahrensbeschleunigung kann mit der geplanten Neuregelung daher kaum erreicht werden.

7. weiterer Änderungsbedarf – Beschleunigungspotential

a) Änderungen oder Ergänzungen der Regelung zur Klagebegründungsfrist (§ 6 UmwRG, § 6 Abs. 1 UmwRG-E) sind aus unserer Sicht derzeit nicht angezeigt. Das fristauslösende Ereignis ist klar definiert und praktikabel. Zur innerprozessualen Präklusion bei Akteneinsicht hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen durch seine Rechtsprechung hinreichend Klarheit geschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 9 B 7.23 – juris Rn. 8 ff.). Einer Kodifizierung dieser Grundsätze bedarf es nicht.

b) Die Möglichkeit einer Verlängerung der Klagebegründungsfrist wegen der Gewährung von Akteneinsicht sollte vom Gesetzgeber nicht eröffnet werden. Erfahrungsgemäß würde die Fristverlängerung vielfach beantragt werden, selbst wenn Akteneinsicht zur Begründung der Klage nicht erforderlich wäre, weil die Akten aus dem Verwaltungsverfahren bekannt sind. Verfahrensverzögerungen und zusätzliches Konfliktpotential wären daher zu befürchten.

c) Weitere, bisher ungenutzte Beschleunigungspotentiale bestehen vor allem bei Normenkontrollverfahren. Die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 29.10.2020 – 4 CN 9.19 – juris Rn. 11 ff.) hat die Geltung des § 6 UmwRG insofern verneint. Europa- oder ver-fassungsrechtliche Gründe hindern den Gesetzgeber, der über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt, aber nicht daran, auch die Normenkontrolle prozessrechtlichen Restriktionen zu unterwerfen und den objektiven Prüfungsmaßstab zurückzunehmen. Zudem könnte auch die Anwendbarkeit des § 87b VwGO in Normenkontrollverfahren gesetzlich geregelt werden (offenlassend BVerwG, B.v. 30.5.2023 – 10 BN 2.23 – juris Rn. 5; bejahend BayVGH, U.v. 16.8.2022 – 8 N 19.1138 – juris Rn. 92 m.w.N.; ablehnend OVG NW, U.v. 29.1.2020 – 7 D 80/17.NE – BauR 2020, 768/771).

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)
Berlin, den 4. Juni 2024