Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR), der die berufsständischen Interessen von 80 % der aktiven Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter in Deutschland vertritt, dankt für die Gelegenheit, zu dem Entwurf eines Investitionsbeschleunigungsgesetzes Stellung zu nehmen. Die für die Abgabe einer Stellungnahme eingeräumte Frist ist zu kurz. Eine eingehende inhaltliche Befassung mit dem Gesetzentwurf ist innerhalb dieser Frist nicht möglich. Die Stellungnahme beschränkt sich daher auf die geplanten Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung.

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THEMA

Geplante Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung.

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

06. August 2020

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Der BDVR teilt das allgemeine Ziel des Entwurfs, „dass die sich an ein behördliches Zulassungsverfahren gegebenenfalls anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden (sollen)“ uneingeschränkt. Er weist in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf hin, dass die verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren vor allem bei bedeutsamen Infrastrukturvorhaben schon bisher einen deutlich untergeordneten Anteil an der Gesamtdauer der Planungsverfahren haben. Sachgerechte prozessuale Änderungen zur weiteren Verbesserung der Verfahrenslaufzeiten werden vom BDVR dennoch ausdrücklich begrüßt.

Art. 1 Entwurf-InvBeschlG
Nr. 1 Buchst. a: Die Erweiterungen der Eingangszuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe für infrastrukturrelevante Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren werden vom BDVR unterstützt. Die betroffenen Verfahren zeichnen sich regelmäßig sowohl durch ihre rechtliche und tatsächliche Komplexität als auch durch die große Zahl der Beteiligten und die (oftmals überregionale) Bedeutung der betroffenen materiellen und immateriellen Interessen aus. Vor diesem Hintergrund ist eine obergerichtliche Eingangszuständigkeit geeignet, um eine sachgerechte gerichtliche Kontrolle mit möglichst kurzen Verfahrenslaufzeiten zu erreichen. Lange Verfahrensdauern sind nicht nur für die Vorhabenträger und die betroffenen Bürger problematisch.
Gerade bei streitigen Großvorhaben kann eine möglichst zügige rechtskräftige Entscheidung eine befriedende Wirkung haben, weil Konflikte nicht übermäßig lange schwelen, ohne dass es zu einer abschließenden Klärung der Rechtslage kommt.
Dabei müssen allerdings die Auswirkungen auf sehr kleine Oberverwaltungsgerichte mit wenigen Senaten in den Blick genommen werden. Es besteht das Risiko, dass bereits ein einzelnes großes Planfeststellungsverfahren einen Senat über einen längeren Zeitraum wesentlich auslastet, so dass für andere Verfahren keine Zeit mehr bleibt. Ohne eine Anpassung der personellen Ausstattung dieser kleinen Oberverwaltungsgerichte kann sich der von der Regelung bezweckte Beschleunigungseffekt in das Gegenteil verkehren. Soweit der Entwurf hierzu davon ausgeht, dass „Mehrbedarfen bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen infolge der vorgesehenen Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeiten dieser Gerichte […] Minderbedarfe bei den Verwaltungsgerichten in mindestens gleicher Höhe“ gegenüberstehen, ist zu beachten, dass es sich um Planstellen verschiedener Besoldungsgruppen handelt, deren Verlagerung durch den Haushaltsgesetzgeber beschlossen werden muss.
Nr. 1 Buchst. b: Die für erstinstanzliche Verfahren der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe nach § 48 VwGO vorgesehene „Soll“-Regelung zur Fortdauer der Zuständigkeit bei Änderungen der Geschäftsverteilung anstelle der allgemeinen „Kann“-Regelung des § 21e Abs. 4 GVG wird vom BDVR begrüßt. Ein Zuständigkeitsübergang sorgt stets für eine Verfahrensverzögerung, die dadurch vermeidbar ist, dass der eingearbeitete Spruchkörper künftig im Regelfall für das Verfahren zuständig bleibt.

Nr. 2: Die geplante Regelung des § 50 Abs. 2 VwGO erscheint aus den vorstehenden Gründen sachgerecht.

Nr. 3: Der geplante § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a VwGO wird vom BDVR dem Grunde nach begrüßt. Das Entfallen der aufschiebenden Wirkung trägt dem allgemeinen öffentlichen Interesse an einer zeitnäheren Realisierung der betroffenen Infrastrukturvorhaben gegenüber dem Aussetzungsinteresse Dritter angemessen Rechnung. Allerdings sollte der Begriff der überregionalen Bedeutung, um Auslegungsfragen vorzubeugen, in der Gesetzesbegründung präzisiert werden. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die geplante Regelung vermehrt Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO erwarten lässt. Dem Zuwachs dieser Verfahren muss durch eine entsprechende personelle Ausstattung der Gerichte Rechnung getragen werden, andernfalls der beabsichtigte Beschleunigungseffekt konterkariert würde.

Nr. 4: Der geplante § 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO sollte ersatzlos gestrichen werden. Die mit infrastrukturrelevanten Verfahren befassten Gerichte müssen nicht „in Richtung einer zeitnahen Terminierung [ge]lenk[t]“ werden. Sie „schieben“ Termine zur mündlichen Verhandlung auch nicht „hinaus“. Schon bislang gilt das allgemeine Beschleunigungsgebot. Auch ohne zusätzliche Vorgaben werden die betreffenden Verfahren zum frühestmöglichen Zeitpunkt terminiert. Allerdings setzt eine sachgerechte Erörterung der tatsächlichen und rechtlichen Probleme in Anbetracht der hohen Komplexität und Schwierigkeit der betreffenden Verfahren eine Durchdringung des Verfahrensstoffs regelmäßig nicht allein durch den Berichterstatter, sondern auch durch die übrigen Senatsmitglieder voraus. Die Durchführung eines „frühen ersten Termins“ kann sich in ei-nem Verfahren empfehlen, in einem anderen Verfahren hingegen nicht sinnvoll sein. Dies unter sachgerechter Abwägung auch hinsichtlich aller weiteren in einer Kammer oder einem Senat anhängigen Verfahren zu entscheiden, sollte allein dem mit dem Verfahren befassten Spruchkörper überlassen bleiben.

Nr. 5: Der geplante § 176 VwGO wird uneingeschränkt begrüßt. Der Regelung hätte es bereits vor mehreren Jahren bedurft. Sie wird indes die Verfahrenserledigung bei den Verwaltungsgerichten auch heute noch begünstigen. Einer Befristung der Regelung bedarf es aus Sicht des BDVR aber zumindest hinsichtlich der abgeordneten Richter auf Lebenszeit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht. Im Übrigen dürfte die vorgesehene Befristung nicht mit den – aus Sicht des BDVR zutreffenden – allgemeinen Erwägungen unter A. VII. der Entwurfsbegründung in Einklang stehen. Vor diesem Hintergrund sollte eine Entfristung zu gegebener Zeit in Aussicht genommen werden.

Nr. 6: Die Einführung einer Möglichkeit zur Bildung besonderer Wirtschafts- und Planungskammern und -senate wird vom BDVR ausdrücklich unterstützt. In solchen Spruchkörpern kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre hohe wirtschafts- bzw. planungsrechtliche Kompetenz zukünftig noch stärker als schon bislang bündeln und vertiefen. Die Einrichtung solcher Spruchkörper wird zugleich das Vertrauen der Rechtsschutzsuchenden in die Gewährung zeitnahen und qualitativ hochwertigen Rechtsschutzes stärken.

Art. 3 Entwurf-InvBeschlG
Nr. 2: Der geplante Wegfall der aufschiebenden Wirkung für Windkraftanlagen, die nach Nr. 1.6 der 4. BImSchV einer Genehmigung nach dem BImSchG bedürfen, ist aus Sicht des BDVR nicht zu beanstanden. Allerdings ist auch hier darauf hinzuweisen, dass dies vermehrt Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Folge haben dürfte.

Berlin, den 4. Mai 2020
Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)